Churn im Fundraising − 5 Schritte zum Erfolg
13 Sep 2023 | von Stefan Graetzer
Selbst wenn ein Spender oder eine Spenderin eine Lastschrift erteilt hat, heißt das nicht zwangsläufig, dass er oder sie emotional mit der Spendenorganisation verbunden ist. Und umgekehrt können auch als inaktiv bezeichnete Spender:innen sich weiterhin verbunden fühlen, an Aktionen teilnehmen und Werbung für eine Organisation machen. Es ist also gar nicht so einfach, den Begriff „Spender:innenbindung“ und den damit eng verbundenen Begriff „Churn“ im Fundraising zu definieren.
Deshalb soll der Begriff hier mit dem Ziel interpretiert werden, die Nettoerlöse zu steigern. Dazu können wir zahlreiche soziodemografische Variablen betrachten, aber auch alles rund um die Spenden selbst: die Anzahl, die Höhe, die Häufigkeit und die Zeitpunkte.
Wenn das Verhältnis der wiederkehrenden- zu den Gesamtspender:innen sinkt, so haben Spendenorganisationen ein Problem, das es zu ergründen gilt. Insbesondere externe Faktoren wie der Ukraine-Krieg, die Energiekrise und Rezessionsängste können hier eine Rolle spielen und sind nur bedingt von einer Spendenorganisation beeinflussbar. Doch gerade in schwierigen Zeiten ist es deshalb wichtig, die Abwanderung so gering wie möglich zu halten. Damit verbundene Maßnahmen werden als „Churn Prevention“ bezeichnet. Denn bei Spender:innnen, die bereits gespendet haben, muss weniger Überzeugungsarbeit geleistet werden als bei denjenigen, die neu gewonnen werden sollen.
Zudem verbessert Churn Prevention den Lifetime Value und senkt die Akquise-Kosten. Denn die Gewinnung neuer Spender:innnen ist bekanntlich teuer. So kann eine Reduzierung der Abwanderung langfristig positive Auswirkungen auf den Bestand der aktiven Spender:innen und die Nettoerlöse haben.
Was bedeutet Churn?
Der Begriff leitet sich aus dem Englischen von den Wörtern „Change“ und „Turn“ ab. Diese bedeuten „Wechsel“ und „Abkehr“. Das heißt, Spendende beenden möglicherweise die Beziehung zu Ihrer Organisation, sei es weil sie sparen müssen oder weil sie eine andere Spendenorganisation unterstützen möchten. Dies sollten Sie natürlich verhindern.
Abwanderungsrate (Churn Rate)
Diese Kennzahl kann beliebig definierte Zeiträume miteinander vergleichen. Im Normalfall berechnet man, wie viele Spendende eine Organisation im Vergleich zum Vorjahr verloren hat.
Berechnung der Churn Rate: Anzahl Spendende des Vorjahres, die im aktuellen Jahr nicht gespendet haben / Gesamtanzahl der Spendenden des Vorjahres x 100
Beispiel: 2020 gab es 1000 Spendende, davon haben 200 im Jahr 2021 nicht gespendet.
200 / 1000 x 100 = 20%
Churn innerhalb der Donor Journey
Eine Donor Journey ist die Reise des Spendenden. Sie beschreibt die Maßnahmen vom ersten Kontakt über den Zeitpunkt, an dem er oder sie treue Spender:innen werden. Dabei ergeben sich 5 Stadien, wobei die Stadien Gefährdung und Verlust werden ebenfalls beschrieben:
- Interesse ist geweckt.
- Interessierte werden zu Spender:innen konvertiert.
- Spender:innnen werden gebunden.
- Unterstützer:innen sind gefährdet (--> Churn).
- Spendende werden reaktiviert.
Churn betrifft Punkt 4. Damit es erst gar nicht zu Punkt 5 und einer möglichen Reaktivierung kommt, kommt Churn Prevention ins Spiel. Wie das funktionieren kann, wird in 5 Schritten erklärt.
Wie funktioniert Churn Prevention?
Zunächst berechnet man mithilfe von Predictive Analytics einen Score, der ein Maß für die Wahrscheinlichkeit einer Abwanderung repräsentiert. Steigt dieser Score über einen bestimmten Schwellenwert, sollten Präventionsmaßnahmen folgen, um die Beziehung zu den Spender:innen zumindest für eine weitere Periode zu sichern. Meistens geschieht dies kurz bevor die Vertragsbeziehung gekündigt werden könnte.
Ein Teil der Spender:innen, die sonst abgewandert wären, können auf diesem Weg davon abgehalten werden. Besonders dann, wenn die richtige Gruppe angesprochen wird, die ernsthaft abwandern will, sich aber durch eine Intervention umstimmen lässt.
In unserem fiktiven Beispiel werden mit der Predictive Analytics Methode Profiling und anschließendem Scoring sogenannte Look-a-likes identifiziert. Diese werden dann gezielt mit entsprechenden Präventionsmaßnahmen angesprochen.
Schritt 1: Die Analysegruppe definieren
Beginnen wir damit, eine geeignete Analysegruppe zu ermitteln. Dabei bietet es sich an, die inaktiven Spender:innen zu betrachten. Inaktive werden im Beispiel als diejenigen definiert, die länger als ein Jahr nicht gespendet haben oder kein Mitglied der Organisation sind. Dies wird erreicht, indem wir das rechte Segment (s. Abb. 1) als Analysegruppe selektieren.
Schritt 2: Ein Profil erstellen
Auf diese Analysegruppe wird die Predictive Analytics Methode des Profilings angewendet. Ein Profil dient der Beschreibung von Personen anhand von Merkmalen in Form von Eigenschaften oder Verhalten. Dabei wird die zu analysierende Menge mit einer Basisgruppe (oftmals die Grundgesamtheit) verglichen. Dazu werden mehrere Variablen hinzugezogen, die im Modell betrachtet werden sollen. Das Profil zeigt die Durchdringung und Signifikanz dieser Variablen für die Analysegruppe auf. In der Scorecard wird die Durchdringung durch das Histogramm und die Signifikanz anhand der Farbe (rot = hoch) abgebildet.
In dem Beispiel-Diagramm wird ersichtlich, dass der Durchschnitt der letzten 3 Spenden und der Engagement Score Variablen sind, die die Analysegruppe sehr gut beschreiben. Personen, die durchschnittlich zwischen 30€ und 100€ gespendet haben, sind am meisten gefährdet abzuwandern. Gleichzeitig wird auch klar, dass je höher das Engagement ist, desto weniger ist ein Churn zu befürchten. Unter Engagement wurden im Beispiel verschiedene Aktionen, wie Newsletter geöffnet, an Umfrage beteiligt, an Unterschriftenaktion teilgenommen oder eine direkte Kontaktaufnahme, zusammengefasst und mittels Scores bewertet.
Schritt 3: Scoring der Basisgruppe
Beim anschließenden Scoring wird aus dem Profil ein Score-Wert in Form einer abgeleiteten Variable erstellt. Diese Variable beschreibt die Ähnlichkeit zu den Merkmalen der Analysegruppe. Je höher dieser Wert ausfällt, desto höher ist die Ähnlichkeit. Das heißt, es gilt die sogenannten Look-a-likes zu finden. Der Begriff kann mit „ähnlich aussehend“ übersetzt werden und beschreibt eine mit statistischen Methoden ermittelte Gruppe, die hinsichtlich gewisser Merkmale einer anderen Gruppe besonders ähnlich ist.
Damit sich die Look-a-likes mit den höchsten Scores einfach selektieren lassen, wurden die Scores in Quantile eingeteilt. In Abbildung 3 selektieren wir aus der Basisgruppe die Top 5%der Datensätze mit den höchsten Score-Werten.
Auf diese Art und Weise können wir Personen in unterschiedliche Churn-Klassen zusammenfassen. So werden Datensätze mit einem Score > 4 als „sehr gefährdet“ und mit einem Score > 1 als „gefährdet“ eingestuft.
Schritt 4: Abgleich mit der Analysegruppe
Damit auch nur das Churn-Potenzial für die späteren Maßnahmen eingesetzt wird, erfolgt noch ein Abgleich mit der Analysegruppe. Dies lässt sich anschaulich mit einem Venn-Diagramm visualisieren. Die 23.166 Datensätze sind die aktiven Spender:innen, die unserer Analysegruppe am ähnlichsten sehen und potenziell am meisten gefährdet sind abzuwandern. Das Schnittsegment in der Mitte enthält die Datensätze, die in der Analysegruppe enthalten und bereits zu inaktiven Unterstützer:innen geworden sind. Hier kämen Präventionsmaßnahmen zu spät.
Schritt 5: Visualisierung der Ergebnisse
In unserem Dashboard lassen sich die Merkmale dieser selektierten Zielgruppe auf einer Seite übersichtlich zusammenbringen und mit anderen Churn-Klassifizierungen interaktiv vergleichen. Beispielsweise sehen wir auf den ersten Blick, dass die am meisten gefährdeten Spender:innen eher älter sind und eine geringe Affinität zum Medium E-Mail haben.
Außerdem kann eine Vorschau auf die selektierten Datensätze integriert und die Spendenerlöse der vergangenen 12 Monate kalkuliert werden. Im Beispiel sind beinahe 3 Mio. € Spendenerlöse gefährdet.
Präventionsmaßnahmen ergreifen
Zu guter Letzt müssen die analytischen Ergebnisse in Präventionsmaßnahmen umgesetzt werden. Maßnahmen könnten wie folgt aussehen:
- Belohnen Sie gefährdete Spender:innen: Durch Incentives, wie ein kleines Geschenk, wird die Fortsetzung der Beziehung wahrscheinlicher. Ein schlechtes Gewissen kann eine Abwanderung verhindern.
- Personalisieren Sie das Spendenerlebnis: Zeigen Sie Ihren Spender:innen, wie wichtig sie sind, indem Sie direkt mit ihnen sprechen. Bestätigen Sie die Interessen und Präferenzen, um Ihre Botschaften individuell auf die Spendenden abzustimmen.
- Halten Sie Spendende darüber auf dem Laufenden, warum ihre Spende wichtig ist: Teilen Sie Berichte über diejenigen, die von der Arbeit Ihrer Organisation profitieren und unterstreichen Sie die Sinnhaftigkeit der Unterstützung durch die Spendenden.
- Binden Sie Unterstützer:innen in Aktivitäten ein: Sorgen Sie für personalisierte Möglichkeiten sich einzubringen, z. B. durch die Teilnahme an Umfragen, Unterschriftenaktionen oder Freiwilligenarbeit. So wird eine stärkere Beziehung zur Organisation aufgebaut.
In den meisten Fällen werden Organisationen mit den oben genannten Maßnahmen Erfolg haben. Interessanterweise kann aber das Nicht-Kommunizieren ebenfalls eine wirkungsvolle Strategie sein – besonders bei den Spender:innen, die eigentlich mal irgendwann kündigen wollten, dies aber bislang noch nicht gemacht haben. Das kommt häufiger vor, als man denkt. Wie viele Mitgliedschaften gibt es, die man eigentlich nicht mehr braucht und mal kündigen müsste? Aber man tut es nicht aus Faulheit und weil die Mitgliedschaft vielleicht ohnehin nur 5€ im Monat kostet. Ein Kontakt durch die Spendenorganisation könnte dann zum Anlass genommen werden, eine Kündigung tatsächlich auszusprechen.
Ausblick
Egal ob es sich um einen persönlichen Geburtstagsgruß, eine Willkommensnachricht, eine Dankes-E-Mail oder einen Spendenaufruf handelt, nur für den Spendenden relevante Nachrichten und Informationen stärken die Loyalität Ihrer Spender:innen und führen zur langfristigen Bindung. Dabei gilt der Grundsatz: Nicht möglichst viele Touchpoints, sondern die richtigen Touchpoints verbessern die Bindung zu Ihren Spendenden. Das gelingt insbesondere durch die sorgfältige Analyse der Transaktionsdaten, das Erkennen von Mustern und von Predictive Analytics Methoden unterstützte persönliche Ansprache.
Churn Prevention ist eine von verschiedenen Methoden aus dem Bereich der Predictive Analytics. Sieben weitere Methoden und wie sich diese in der Praxis anwenden lassen, stellen wir ausführlich in unserem kostenlosen Whitepaper „Predictive Analytics im Marketing“ vor: